Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte: Weiter Unklarheiten in der Behandlung der Umsatzsteuer

Die aktuelle Rechtsprechung des BFH zur Zuordnung der warenbewegten Lieferung zu einer der Lieferungen im Reihengeschäft birgt immer noch Unsicherheiten und praktische Probleme in der zutreffenden praktischen Abwicklung von Reihengeschäften. Während der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung bezüglich der warenbewegten Lieferung in erster Linie auf die Beförderung oder den Spediteursauftrag durch einen der Beteiligten abstellen, fordert die Rechtsprechung eine Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls und stellt in erster Linie auf den Eigentumsübergang im Sinne der Verschaffung der Verfügungsmacht ab. Daneben äußert sich die Verwaltung in einem BMF-Schreiben zur Frage der Behandlung des gebrochenen Transports im Rahmen von Reihengeschäften.

Zuletzt aktualisiert am 08.07.2024

Reihengeschäft und innergemeinschaftliches Reihengeschäft – die Definition

Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn

  • mindestens drei beteiligte Personen (davon mindestens zwei Unternehmer),
  • über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und
  • der Gegenstand der Lieferung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer befördert oder versendet wird.

Als innergemeinschaftliche Reihengeschäfte werden solche bezeichnet, die mit einer Warenbewegung von einem EU-Staat in einen anderen EU-Staat verbunden sind.

Das Umsatzsteuergesetz sieht dabei vor, dass nur eine der Lieferungen die bewegte Lieferung (nur bei ihr kommt eine Steuerbefreiung nach § 6a UStG in Betracht) sein kann. Der Ort dieser Lieferung ist dort, wo die Lieferung oder Beförderung des Gegenstands beginnt. Die weiteren Lieferungen sind entsprechend unbewegte (= ruhende) Lieferungen. Der Ort dieser Lieferungen hängt davon ab ob es sich dabei um eine Lieferung handelt, die der bewegten Lieferung vorangeht (Abgangsort) oder folgt (Zielort).

Merke: Für die korrekte umsatzsteuerliche Bewertung ist immer der Warenweg und nicht der Rechnungsweg entscheidend!

Besteuerung mehrerer Lieferungen

Zu der Rechtsfrage, ob im innergemeinschaftlichen Reihengeschäft auch mehrere Lieferungen steuerbefreit sein können, hat der EuGH bereits in der Rechtssache «EMAG Handel Eder OHG» nach Vorlage des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs folgende Entscheidung getroffen:

Führen zwei aufeinanderfolgende Lieferungen desselben Gegenstands, die gegen Entgelt zwischen Unternehmern vorgenommen werden, zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung dieses Gegenstands, so kann diese Versendung oder Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden, die als einzige befreit ist.

Info

Bei gebrochener Beförderung liegt grundsätzlich kein Reihengeschäft vor

Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt demgegenüber bei einer gebrochenen Beförderung oder Versendung grundsätzlich kein Reihengeschäft vor. Der Vorgang spaltet sich in mehrere hintereinandergeschaltete und getrennt zu beurteilende Einzellieferungen auf.

Die gesetzliche Voraussetzung des unmittelbaren Gelangens des Liefergegenstandes vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer wird in einem BMF-Schreiben näher erläutert:

  • An der Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands können entweder nur der Lieferer oder nur der Abnehmer bzw. in deren jeweiligen Auftrag ein Dritter beteiligt sein.
  • Möglich ist aber auch, dass beide, also der Lieferer und auch einer der Abnehmer im Reihengeschäft in den Transport des Liefergegenstands eingebunden sind. Z.B. weil sie übereingekommen sind, sich unabhängig von der Frage, wer Kosten und Gefahr trägt den Transport des Liefergegenstands an den Bestimmungsort zu teilen (sog. gebrochene Beförderung oder Versendung).

Nach Auffassung der Finanzverwaltung fehlt es bei einer gebrochenen Beförderung oder Versendung an der für das Reihengeschäft erforderlichen Unmittelbarkeit der Warenbewegung. Der Vorgang spaltet sich damit in mehrere hintereinandergeschaltete und getrennt zu beurteilende Einzellieferungen auf.

Praxis-Beispiel für das Fehlen eines Reihengeschäfts

Der deutsche Unternehmer D verkauft Waren an den belgischen Abnehmer B, der diese wiederum an seinen französischen Abnehmer F verkauft. Die Waren sollen im Ergebnis von Deutschland nach Frankreich gelangen.

D versendet die Waren nach Belgien, von wo aus sie durch einen zweiten von B beauftragten Spediteur übernommen und anschließend sofort zu F nach Frankreich transportiert werden. Die deutsche Finanzverwaltung nimmt in diesem Fall kein Innergemeinschaftliches Reihengeschäft an, sondern geht aufgrund der unterschiedlichen Transportbeauftragungen von einer innergemeinschaftlichen Lieferung des D an B von Deutschland nach Belgien und einer zweiten innergemeinschaftlichen Lieferung des B an F von Belgien nach Frankreich aus.

Finanzverwaltung: Nicht gebrochene Beförderung oder Versendung wird als Reihengeschäft beurteilt

Im Falle einer nicht gebrochenen Beförderung oder Versendung erkennt die Finanzverwaltung rein tatsächliche Unterbrechungen des Transports, die lediglich dem Transportvorgang geschuldet sind, für die Annahme eines Reihengeschäftes weiterhin an, wenn:

  • der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht
  • der die Steuerbefreiung fordernde Unternehmer nachweist, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Vorgang der Warenbewegung gegeben sind.

Die Rechtsauffassung zur Zuordnung der warenbewegten Lieferung im Reihengeschäft wurde in den jüngeren Entscheidungen des EUGH und des BFH geändert. Bei der Entscheidung der Zuordnung der warenbewegten Lieferung sei insbesondere der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem Endempfänger übertragen worden ist.

  • Erlangt der Zweiterwerber C im Reihengeschäft zwischen A, B und C die Verfügungsmacht bereits im Inland, kann nur die zweite Lieferung die grenzüberschreitende sein.
  • Umgekehrt kann nur die erste Lieferung die grenzüberschreitende sein, wenn der Zweiterwerber C keine Verfügungsmacht im Inland erworben hat.

Der BFH stellt daher nicht mehr auf die Beauftragung des Spediteurs oder die Abholung durch einen der beteiligten Unternehmer, sondern auf den Zeitpunkt des Eigentumsübergangs ab.

Regelungen für nicht-warenbewegte Lieferungen

Für die übrigen nicht-warenbewegten Lieferungen im Reihengeschäft, die im Folgenden als ruhende Lieferungen bezeichnet werden, gilt Folgendes:

  • Die Lieferungen, die der warenbewegten Lieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt.
  • Die Lieferungen, die der warenbewegten Lieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten endet.

Gesetzliche Klarstellung durch BMF-Schreiben

Mit Schreiben vom 25. April 2023 hat das Bundesfinanzministerium die gesetzliche Klarstellung für die Zuordnung der warenbewegten Lieferung im Reihengeschäft vorgenommen und den Umsatzsteueranwendungserlass entsprechend angepasst:

  • Wird der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung/Versendung der Lieferung des ersten Unternehmers an den ersten Abnehmer zuzuordnen.
  • Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung/Versendung der Lieferung an den letzten Abnehmer (letzte Lieferung im Reihengeschäft) zuzuordnen.
  • Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der zugleich Lieferer ist (mittlerer Unternehmer), ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat.
    • Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates dann gilt: Es ist von einem ausreichenden Nachweis auszugehen, wenn der Abnehmer gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet.
    • Gelangt der Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet dann gilt: Es ist von einem ausreichenden Nachweis auszugehen, wenn der Abnehmer zollrechtlicher Ausführer ist. Gelangt der Gegenstand der Lieferung vom Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis auszugehen, wenn der Gegenstand der Lieferung im Namen des Abnehmers zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abgefertigt wird.

Es stellt sich die Frage, ob die Sichtweise des BMF mit der Rechtsprechung des BFH in Einklang steht. Die aktuelle Rechtsprechung stellt in erster Linie auf die Verschaffung der Verfügungsmacht und nicht auf die Beauftragung des Spediteurs ab. Nach der Auffassung des BFH sei es im Übrigen Aufgabe des Gesetz- oder Verordnungsgebers durch Änderung des UStG oder der UStDV in den Grenzen des Unionsrechts z.B. andere widerlegbare Vermutungen aufzustellen oder in anderer Form die Bedürfnisse der Praxis zu berücksichtigen.

Praxisvorschlag der Wirtschaft

Der Gegenvorschlag der gewerblichen Wirtschaft stellt für innergemeinschaftliche Reihengeschäfte bezüglich der warenbewegten Lieferung typisierend auf die verwendete USt-Id-Nr. ab. In stark verkürzter Darstellung ist bei diesem Gesetzesvorschlag die warenbewegte, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung der Lieferung zuzuordnen. Bei dieser tritt der Abnehmer nicht mit einer USt-Id-Nr. des Abgangsstaates auf, sondern mit der USt-Id-Nr. eines anderen Mitgliedstaates. Der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs, die Durchführung der Beförderung oder der Auftrag für die Versendung hätten für die Frage der Zuordnung der warenbewegten Lieferung nur noch subsidiäre Bedeutung.

Das Kriterium der verwendeten USt-Id-Nr. wird vom BMF im Vergleich zum Praxisvorschlag der gewerblichen Wirtschaft nur bei Versendung oder Beförderung durch den mittleren Unternehmer herangezogen.

Bezüglich der Ansicht des BMF stellen sich folgende Fragen:

  • Warum soll zwingend die erste Lieferung warenbewegt sein, wenn der erste Unternehmer in der Reihe den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet? Hier würde die Loslösung vom Transportauftrag unter Heranziehung der verwendeten USt-Id-Nr. des Abnehmers erhebliche Erleichterungen in der praktischen Abwicklung von Reihengeschäften bringen. Das folgende Beispiel mit 2 deutschen Unternehmern am Anfang und einem französischen Unternehmer am Ende der Reihe stellt die Unterscheide der Gesetzesvorschläge aus dem BMF bzw. dem Gegenvorschlag der gewerblichen Wirtschaft dar.
  • Warum soll zwingend die letzte Lieferung warenbewegt sein, wenn der letzte Unternehmer in der Reihe den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet? Hier würde die Loslösung vom Transportauftrag unter Heranziehung der verwendeten USt-Id-Nr. ebenfalls erhebliche Erleichterungen in der praktischen Abwicklung von Reihengeschäften bringen.

Die weitere Entwicklung im Rahmen eines möglichen Gesetzgebungsverfahrens bleibt abzuwarten. Bis dahin ist zu empfehlen, dass sich die Unternehmer an die derzeitigen gesetzlichen Regelungen im UStG und den UStAE halten, um Probleme mit dem Finanzamt zu vermeiden.