Erfolgreich Verhandeln: Das Harvard Konzept mit Beispielen

Jeder Unternehmer muss verhandeln: Ob über Auftragsdetails mit den Kunden, die Einkaufsbedingungen der Lieferanten, Gehälter und Honorare – andauernd stehen Verhandlungen auf dem Plan. Häufig handelt es sich um harte Auseinandersetzungen oder gar regelrechte Konflikte, bei denen die Verhandlungsgegner miteinander um das beste Ergebnis ringen. Schon unsere Wortwahl rund um das Thema Verhandlungen deutet oft auf eine Konfrontation hin; das beeinflusst auch unser Denken und wie wir in die Verhandlungsführung starten. Doch es geht auch anders, wie uns das Harvard Konzept mit einigen Beispielen zeigt.

Zuletzt aktualisiert am 18.10.2023
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Verhandeln nach dem Harvard Konzept

Das Harvard Konzeptzielt auf Kooperation und Konsens ab, bei dem häufig beide Verhandlungspartner einen Kompromiss erreichen, mit dem sie sich wohlfühlen. Bei dieser Methode arbeiten Sie gemeinsam auf eine Lösung hin, die alle Beteiligten zufriedenstellt. Deshalb halten Vereinbarungen, die nach dem Harvard Konzept ablaufen, meist länger als andere.

Info

Herkunft und Entwicklung des Harvard Konzepts

Wie der Name bereits verrät, beruht das Harvard Konzept auf einer Methode, die an der amerikanischen Harvard-Universität entwickelt wurde. Begründer dieses Verhandlungskonzepts sind der Rechtswissenschaftler Roger Fisher und der Sozialanthropologe und Verhandlungsexperte William L. Ury. Sie stellten das Harvard Konzept mit vielen Beispielen 1981 in ihrem Buch „Getting to Yes“ umfangreich vor.

Die 4 Prinzipien des Harvard Konzepts mit Beispielen

Das Motto des Harvard Konzepts ist eigentlich einfach und schnell erklärt: Hart in der Sache – weich zu den Menschen

Damit Sie wissen, wie dies konkret in der Praxis aussieht, folgen nun die vier Prinzipien des Harvard Konzepts mit Fallbeispielen.

Die Harvard-Methode im Überblick​

Prinzip 1: Mensch & Problem getrennt voneinander behandeln

Häufigvermischen wir in Verhandlungen Sachprobleme mit der Beziehungsebene. Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation und insbesondere jede Form von Kooperation ist jedoch eine störungsfreie Beziehung zwischen den Beteiligten. Daher ist es wichtig, bei Verhandlungen das eigentliche Problem zu definieren und sich in die Lage des anderen zu versetzen. Schuldzuweisungen führen eher zu Abwehrreaktionen als zu einer beidseitigen Suche nach Lösungen.

Prinzip 2: Interessen und Bedürfnisse der Verhandlungspartner klären

Meist beginnen Verhandlungen, indem eine der beiden Parteien eine Forderung in den Raum stellt: Ein Mitarbeiter möchte mehr Gehalt, der Kunde bemängelt die Leistung oder der Lieferant nennt einen fixen Preis für sein Produkt. Wir halten sofort dagegen: „Der Firma geht es nicht gut genug für eine Lohnerhöhung.“ „Wir arbeiten schon jetzt mehr als sie bezahlen.“ „Das bekomme ich woanders günstiger.“

Was nunfolgt, ist oft ein endloses Feilschen um Positionen. Jeder gibt in kleinen Schritten ein wenig nach und man trifft sich irgendwo in der Mitte oder gar nicht. Meist fühlt sich hinterher mindestens eine der beiden Parteien als Verlierer und hat das Gefühl, zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben. Das ist für die künftige Zusammenarbeit eine wenig glückliche Basis.

Anstatt direkt abzublocken, sollten wir uns und unser Gegenüberfragen, welche Interessengenauhinterden Verhandlungspositionenstecken: Warum will der Mitarbeiter mehr Geld? Was ist dem Kunden so wichtig an diesem winzigen Detail, das er bemängelt? Weshalb fordert der Lieferant diesen marktunüblichen Preis? Und warum wollen wir etwas ganz anderes?

Den Verhandlungsparteiengeht es so gut wie nieum das Durchsetzen von Positionensie möchten vielmehr Bedürfnisse befriedigen. Nur wenn wir all diese Interessen kennen, können wir zusammen nach einem Weg suchen, möglichst viele der Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen. Oft stellt man nämlich fest, dass man gemeinsam auf der Interessenebene eine einfache Lösung finden kann, die konträre und anscheinend inkompatible Positionen miteinander vereint.

Beispiel für das 2. Prinzip des Harvard Konzepts:

Ein Mitarbeiter fordert eine Gehaltserhöhung um 500 EUR, Ihr Unternehmen muss derzeit jedoch sparen.

Zunächstermitteln Siediegemeinsamen Interessen der Verhandlungspartner, die in jedem Fall berücksichtigt werden können und müssen – weil es beiden nutzt. In diesem Beispiel besteht das gemeinsame Interesse aus einer guten Arbeitsbeziehung und der Mitarbeitermotivation. „Warum/Warum-Nicht“-Fragen machen die unterschiedlichen Anliegen bewusst.

Warum möchte der Mitarbeiter mehr Geld? Was verbindet er damit? Sucht er Wertschätzung oder ist der Kindergarten teurer geworden?

Wieso muss die Firma aktuell sparen? Welche Hemmnisse gibt es für eine Gehaltserhöhung? Liegt es am Geld oder vielleicht am Gehaltsgefüge innerhalb des Unternehmens insgesamt?

Nur wenn beide Parteien sich über ihre eigenen Interessen und die des Gegenübers im Klaren sind, kann zusammen nach einer befriedigenden Lösung gesucht werden.

Prinzip 3: Vorteile für beide Seiten schaffen

Nachdem nun die Interessen aller Beteiligten geklärt sind, können Sie miteinander Lösungen erarbeiten. Wie beim Brainstormingsolltenalle Teilnehmenden dabei zunächst nach möglichst vielen Alternativen suchen, statt nur nach einer „perfekten“ Lösung. Denn urteilen Sie verfrüht, schränken Sie damit schnell Ihre Kreativität ein und denken gar nicht an sämtliche Optionen. Sammeln Sie daher erst einmal alle Möglichkeiten, bevor Sie diese bewerten.

Tipp

Achten Sie nicht nur auf sich

Suchen Sie nach Vorteilen für alle Beteiligten. Win-Win ist das Stichwort. Machen Sie Vorschläge, die die Entscheidung der Gegenseite für eine Zustimmung erleichtern. Schließlich möchten Sie einen Konsens und kein Gegeneinander.

Beispiel für das 3. Prinzip des Harvard Konzepts:

Der Mitarbeiter möchte mehr Anerkennung für seine Leistungen, es geht ihm aber nicht primär um mehr Geld.

Wertschätzung können Sie Ihrem Mitarbeiter aber auch ohneGehaltserhöhung ausdrücken:

  • Indem Sie ihm größere Projekte anvertrauen.
  • Ebenfalls drückt das Angebot eines größeren Dienstwagens Wertschätzung aus.
  • Auch die Finanzierung einer Weiterbildung ist eine Form der Anerkennung.

Prinzip 4: Objektive Beurteilungskritrien nutzen

Suchen Sie jetzt gemeinsam nach möglichst objektiven Kriterien (beispielsweise den Marktwert, frühere Vergleichsfälle, wissenschaftliche Gutachten, …), anhand derer die gefundenen Lösungen bewertet werden. Hilfreich sind hier vor allem solche Kriterien, die beide Seiten als fair empfinden.

Überlegen Sie zusammen, welche Kriterien zur Beurteilung der Lösungsansätze wichtig sind und welche weniger wichtig. Dann bewerten Sie die Ergebnisse aus Schritt 3 gemeinschaftlich und prüfen Sie, inwieweitSie das Problem vielleicht bereits jetzt lösen können.

Einigen sich die Verhandlungsparteien auf ein Ergebnis, das sie gemeinsam – mithilfe als fair empfundener Kriterien – ermittelt haben, so fühlt sich selbst ein „schlechtes“ Verhandlungsergebnis nicht mehr als Niederlage an, sondern eher als der Situation angemessen. Beide Seiten haben aus der aktuellen Lage das Beste (für sich) herausgeholt.

Beispiel für das 4. Prinzip des Harvard Konzepts:

Statt einer Gehaltserhöhung gibt es einen neuen Dienstwagen

Der Mitarbeiter sieht, dass das Unternehmen ihn schätzt. Dem Unternehmen kostet ein größerer Firmenwagen nur 143 EUR pro Monat anstelle von 500 EUR zuzüglich Sozialabgaben. Beide Parteien konnten ihre Interessen durchsetzen und gehen mit einem Win-Win-Kompromiss aus der Verhandlung.

Tipp

Überlegen Sie sich schon vor der Verhandlung Alternativen

Indem Sie sich schon im Vorfeld darüber Gedanken machen, welche Alternative für Sie infrage kommen würde, wenn die Verhandlung doch scheitern sollte, stärken Sie Ihre eigene Verhandlungsposition.
Hier lautet das Stichwort BATNA und bedeutet ausgeschrieben „Best Alternative To a Negotiated Agreement“. Auch diesen Begriff begründeten Roger Fisher und William L. Ury in Ergänzung zum Harvard Konzept:
Für die Anwendung von BATNA überlegen Sie sich, welcherealistische Alternative für Sie abseits der erfolgreichen Verhandlungdie besteist. Mit dieser Option können Sie souveräner und unabhängigerverhandeln. Aber stecken Sie sich Ihre Ziele mit Blick auf die BATNA keinesfalls zu tief.

Fazit: Das Harvard Konzept hat Vor- und Nachteile

Das „sachbezogene Verhandeln“ (englisch: principled negotiating) ist eine gute Verhandlungsstrategie, um Verhandlungen erfolgreich und positiv zu führen. Wie Sie auch anhand der Beispiele erkennen, bietet dafür das Harvard Konzept praktische Verhandlungstechniken.

ABER: Das funktioniert leider nicht immer.

Gelegentlich legen die Verhandlungsparteien ihre wahren Interessen nicht komplett offen. Gerade im Businessumfeld halten sich die Verhandlungsparteien bezüglich ihrer Ziele eher bedeckt. Meist sind auch nicht alle Verhandlungsteilnehmer gleich gut informiert. Vor allem ist es in vielen Verhandlungssituationen ganz und gar nicht so, dass die Beteiligten es gut miteinander meinen und wirklich an einer gemeinsamen Win-Win-Situation interessiert sind.

Dann stößt bei Verhandlungen das Harvard Konzept anseine Grenzen. Denn nur, wenn alle Beteiligten offen, fair und positiv ins Gespräch gehen, hat eine partnerschaftliche Lösung tatsächlich eine Chance.

Und dennoch – einen Versuch ist das Harvard Konzept, wie in den Beispielen gezeigt, auf jeden Fall wert! Denn für beide Seiten sind vorteilhafte Verhandlungslösungen mit dauerhaft guten Beziehungen immer tragfähiger als reine Machtsiege!

Und wenn Sie auch zusätzlich eine Alternative nach BATNA parat haben, sind Sie noch besser auf Verhandlungen vorbereitet.