Welche Merkmale deuten auf Scheinselbstständigkeit hin?
Selbstständige, die in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen, sind grundsätzlich nicht verpflichtet Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen abzuführen.
Ebenso müssen Selbstständige keine Beiträge an die Sozialversicherung leisten. Da dem deutschen Staat daran gelegen ist, die Steuereinnahmen bzw. Einnahmen in Sozialkassen zu erhöhen, toleriert er keine Scheinselbstständigkeit, wenn der Verdacht auf eine abhängige Beschäftigung vorliegt.
Häufig handelt es sich um einen komplexen Entscheidungsprozess, wenn bewertet wird, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder Selbstständigkeit vorliegt. Das sogenannte Statusfeststellungsverfahrenwird von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt. Kommt die Rentenversicherung Bund auf Sie mit einem Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu, müssen Sie den Verdacht ernst nehmen, da bei Falschangaben Nachzahlungen drohen. Gibt es bei einem Arbeitsverhältnis Fragen bezüglich des Status des Auftragnehmers, kann die Clearingstelle bei der finalen Klärung helfen.
Eine Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person zwar nach außen (z. B. mit einem Werkvertrag) als selbstständiger Unternehmer auftritt, aber Aufgaben wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer erfüllt. Anhaltspunkte für Scheinselbstständigkeit sind:
- Unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers
- Feste Arbeitszeiten (z. B. Schichtdienst etc.)
- Reporting-Pflichten für den Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber
- Die feste Integration in Prozesse und sonstige Infrastruktur des Auftraggebers
- Feste Bezüge
- Urlaubsanspruch und / oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Scheinselbstständigkeit – typische Beispiele aus der Praxis
Komplexe Sachverhalte lassen sich immer leichter anhand von Beispielen erklären. Die folgenden Fälle helfen Ihnen zu erkennen, wann Scheinselbstständigkeit vorliegt – und wann nicht.
Mögliche Scheinselbstständigkeit – Beispiel 1
In einer Designagentur wird eine ehemalige Angestellte nach der Elternzeit erneut beschäftigt – allerdings auf freiberuflicher Basis. Nach einiger Zeit ist der Alltag eingekehrt und der Arbeitsumfang ist mit dem eines Vollzeitjobs vergleichbar. Durch diese tägliche Routine hat sie keine Zeit mehr für andere Kunden, sie ist regelmäßig in der Agentur und erledigt dort spontan Aufträge, nutzt die Rechner und Grafikprogramme der Agentur und stimmt Urlaube mit den dort festangestellten Kollegen ab.
Hier besteht ein hohes Risiko, dass Scheinselbstständigkeit besteht und der Zoll aktiv wird. Das Problem: Der Scheinselbstständige müsste seinen Arbeitnehmeranteil der SV-Beiträge und die Lohnsteuer für die vergangenen drei Monate nachzahlen, der Arbeitgeber ggfs. für weiter zurückliegende Zeiten. Für weiter zurückliegende Zeiträume muss er Arbeitgeber dann sogar beide Beitragsanteile tragen: die des Arbeitnehmers und die eigenen.
Mögliche Scheinselbstständigkeit – Beispiel 2
Einem LKW-Fahrer wird nach langer Arbeitslosigkeit angeboten, als selbstständiger Fahrer für eine Spedition zu arbeiten. Der Auftraggeber stellt ihm ausreichend Aufträge und einen Transporter zur Verfügung. Die Spedition integriert den vermeintlich selbstständigen Fahrer fest in ihre Fuhren/Transportplanung und entscheidet, wann die Aufträge abgearbeitet werden.
Da der Auftraggeber den Transporter zur Verfügung stellt und die Aufträge nach seinen Vorstellungen abgearbeitet werden, liegt hier aus Sicht der Rentenversicherung eine Scheinselbstständigkeit vor.
Wer ist besonders von Scheinselbstständigkeit betroffen?
Während potenziell jegliche Solo-Selbstständige und Freiberufler von ihrem Arbeitsverhältnis als Freelancer in die Scheinselbstständigkeit rutschen können, sind bestimmte Tätigkeiten besonders anfällig dafür:
- Texten
- Programmieren
- Grafikdesign
- Handwerken
- Immobilienmakler
- Kurierjobs
- Berater und Beraterinnen jeglicher Art
Oft entsteht Scheinselbstständigkeit dadurch, dass sich die Abhängigkeit zu einem einzigen Arbeitgeber verfestigt. Demnach wird die Selbstständigkeit nach und nach zu einem Scheinverhältnis. Sobald der Umsatz, den Arbeitgeber generieren, den Gesamtumsatz dominiert, liegt grundsätzlich eine Scheinselbstständigkeit vor.
Scheinselbstständigkeit vorbeugen: Darauf sollten Selbstständige und Arbeitgeber achten
Um den Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu vermeiden, sollten Sie sicherstellen, dass Sie folgende Konstellationen nicht eintreten:
- über längere Zeit nur einen Auftraggeber (soweit auch andere Merkmale auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten)
- kein eigener Unternehmensauftritt nach außen (weder Werbung noch Buchführung)
- Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber
- Teilnahme an regelmäßigen internen Briefings und Meetings des Auftragsgebers
- Eingliederung des Auftragnehmers in den Betrieb des Auftraggebers
Umgekehrt liegt nach den Richtlinien der Rentenversicherung ein geringes Risiko für Scheinselbstständigkeit vor, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- freie Ortswahl und Zeitplanung
- freie Honorarverrechnung
- eigene Betriebsstätte
- im Zusammenhang mit der Tätigkeit Beschäftigung eigener Angestellter
- Einsatz von Arbeitskraft und Kapital auch unter der Gefahr des Verlustes
Steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen bei Scheinselbstständigkeit
Eine Überprüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kann zum einen selbst beantragt werden und zum anderen durch einen Verdacht vom Finanzamt oder der Rentenversicherung angestoßen werden. Hat ein Selbstständiger den begründeten Verdacht, dass er durch die Rahmenbedingungen eines Auftraggebers Gefahr läuft, als scheinselbstständig eingestuft zu werden, kann er bei der Deutschen Rentenversicherung eine freiwillige Prüfung auf Scheinselbstständigkeit beantragen.
Äußert das Finanzamt oder die Rentenversicherung einen Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, kann das eine Betriebsprüfung für den Selbstständigen bedeuten. Wird eine Scheinselbstständigkeit von der Rentenversicherung Bund festgestellt, zieht das die folgenden steuer- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen nach sich:
- Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen nach Entdeckung der Scheinselbstständigkeit die neue steuerrechtliche Situation sortieren und haften für Nachzahlungen als Gesamtschuldner. Sämtliche Lohnsteuer- und SV-Beiträge müssen nachgezahlt werden.
- Ehemalige Selbstständige können nach der Feststellung einer Scheinselbstständigkeit ihren Arbeitnehmerstatus einklagen. Hat ein Scheinselbstständiger damit vor dem Arbeitsgericht Erfolg, ist der vermeintliche Selbstständige auf einmal ein Angestellter – mit allen Rechten und Pflichten, inklusive der Sozialversicherungspflicht und Rentenversicherungspflicht.
- Sozialversicherungsbeiträge müssen vom Auftraggeber nachgezahlt werden, sogar für den komplett nachgewiesenen Zeitraum der Scheinselbstständigkeit (bei Vorsatz bis 30 Jahre, abzgl. der letzten 3 Monate). Der Auftragnehmer haftet maximal 3 Monate rückwirkend für nicht gezahlte Beiträge.
Checkliste zur Scheinselbstständigkeit
Die Clearingstelle ordnet anhand der Checkliste zu, welche Art der Beschäftigung vorliegt. Sind die folgenden Sachverhalte erfüllt, sprechen diese entweder für eine Selbstständigkeit oder eine angestellte Beschäftigung (dann besteht das Risiko der Scheinselbstständigkeit). Indem sie den Selbstständigen-Status des Auftragnehmers gewährleisten, können Sie den Verdacht auf Scheinselbständigkeit vermeiden.
Für den Status als Arbeitnehmer sprechen: | Für den Status als Selbstständiger sprechen: |
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Vorgabe der Arbeitszeit, Teilnahme am Gleitzeitverfahren, Bedienen von Zeiterfassungsgeräten (Stechuhren) | keine Zeiterfassung durch Auftraggeber, ggf. nur zeitlich gebunden an Öffnungszeiten |
Urlaubsansprüche | Freizeit wird durch Auftragslage bestimmt |
Anweisungen zur Art der Tätigkeit, Vorgabe von Verrichtungswegen, Arbeitsanweisungen, festgelegtes Aufgabengebiet | lediglich Resultat ist maßgebend, unabhängig vom zeitlichen Aufwand |
Arbeiten müssen in eigener Person erbracht werden | Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern |
festgelegter Arbeitsort, bei Außendienstlern – festgelegtes Einsatzgebiet | freies Agieren oder Handeln, ggf. auch international |
Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall | Kein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall |
feste Bezüge | Betriebsrisiko aufgrund eingebrachter Materialien oder Werkzeuge |
früher bereits in der gleichen Tätigkeit bei diesem Auftraggeber beschäftigt gewesen | Werbung mit eigenem Corporate Design und eigener Webseite |
Scheinselbstständigkeit prüfen lassen: So geht's
Sind Sie sich unsicher, ob im Rahmen eines Auftrags eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, können Sie ein freiwilliges Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung beantragen, um weitere Probleme zu umgehen. Beachten Sie aber, dass das Ergebnis ggf. nicht so ausfällt, wie Sie sich das vorgestellt haben.
Um die Scheinselbstständigkeit zu prüfen, nimmt die Rentenversicherung sowohl alle geschlossenen Verträge als auch die Bedingungen und Verhältnisse im Berufsalltag genau unter die Lupe. Die Prüferinnen und Prüfer müssen Anhaltspunkte und Beweise für die Scheinselbstständigkeit finden, um diese nachzuweisen. Wichtig ist, dass Sie im Falle einer solchen Betriebsprüfung eine geordnete und übersichtliche Buchhaltung präsentieren. Das kann von Vorteil sein, wenn es darum geht, das tatsächliche Anstellungsverhältnis präzise zu ermitteln.