Was ist die allgemeine Verkehrssicherungspflicht?
Die Verkehrssicherungspflicht bedeutet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung absoluter Rechtsgüter Anderer möglichst zu verhindern. Absolute Rechtsgüter sind beispielsweise das Eigentum, das Leben oder die Gesundheit.
Dabei müssen Sie nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugen, also nicht gegen jeden denkbaren Fall oder Unfall Vorkehrungen treffen. Nur wenn die naheliegende Gefahr besteht, dass absolute Rechtsgüter Anderer verletzt werden können, müssen Sie „nach dem gesunden Menschenverstand“ geeignete Sicherheitsvorkehrungen treffen. In diesem Zusammenhang müssen Sie sich fragen, welche Maßnahmen ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Geschäftsführer in einer vergleichbaren Situation für ausreichend und zumutbar halten würde, damit Dritte nicht zu Schaden kommen. Sicherungsmaßnahmen sind umso mehr erforderlich, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit sind, dass etwas passiert.
Praxis-Beispiele:
- Winterdienst: Die Räum- und Streupflicht im Winter
Ein Kunde war auf dem glatten Boden eines Firmenparkplatzes ausgerutscht und hingefallen. Das Gericht stellte fest, dass die Gesellschaft ihrer Verkehrssicherheitspflicht, die Glätte auf dem Parkplatz zu beseitigen, nicht in ausreichender Form nachgekommen war. Der Geschädigte konnte beweisen, dass der Parkplatz nicht ausreichend gestreut und geräumt worden war. - Fehlende Kennzeichnung von Glaselementen
Ein Kunde stieß mit dem Gesicht gegen eine durchsichtige Glastür und verletzte sich dabei. Das Gericht entschied, dass die Gesellschaft die Tür nicht in ausreichender Form gekennzeichnet hatte, so dass man sie rechtzeitig wahrnehmen konnte.
Ihre Aufgaben als Geschäftsführer bei der Verkehrssicherungspflicht
Primär trifft die Pflicht, das Unternehmen intern so zu organisieren, dass von ihm keine Gefahren ausgehen, im Außenverhältnis zunächst die GmbH selbst und nicht die Geschäftsführung. Sie als Geschäftsführer müssen dies aber intern umsetzen.
Das sind Ihre Aufgaben dabei:
Um die Verkehrssicherungspflicht adäquat umzusetzen, sind Sie per Gesetz dazu verpflichtet, folgende Vorkehrungen zu treffen und dabei etwaige Szenarien zu berücksichtigen.
- Gefahrquellen feststellen:
Analysieren Sie schadensträchtige Abläufe in Ihrem Unternehmen und passen Sie sie gegebenenfalls an. Prüfen Sie bei Vorkommnissen, ob ein grundsätzliches Risiko vorliegt, welches sich auch in Zukunft wieder verwirklichen könnte. - Bei Delegation an nachgeordnete Mitarbeiter kontrollieren:
Eine Delegation von Aufgaben an andere Mitarbeiter ist zulässig. Aber: Es ist Ihre Verantwortung als Geschäftsführer, das Personal sorgsam auszuwählen, ordnungsgemäß anzuleiten, regelmäßig zu kontrollieren und – sofern erforderlich – persönlich einzugreifen.
Info
Praxis-Beispiel: Die Räum- und Streupflicht im Winter
Im oben genannten Fall hatte der Geschäftsführer den Winterdienst auf den Hausmeister der Gesellschaft übertragen. Der Hausmeister wurde aber nicht ausreichend überwacht. Deshalb nahm das Gericht eine Haftung der Gesellschaft gegenüber dem Geschädigten an.
- Bei Ressortaufteilung zwischen mehreren Geschäftsführern ebenfalls kontrollieren:
In vielen Gesellschaften ist die Geschäftsführung zwischen mehreren Personen aufgeteilt. Durch eine ordnungsgemäße und rechtlich wirksam festgelegte Ressortaufteilung innerhalb der Geschäftsführung erhält jeder Geschäftsführer einen Bereich, für den er die volle Handlungsverantwortung trägt (zum Beispiel bei der Verkehrssicherungspflicht). Hier empfiehlt es sich, die Aufteilung in einem Gesellschaftsvertrag der GmbH schriftlich festzuhalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die anderen Geschäftsführer aus ihrer Verantwortung für diesen Geschäftsbereich vollständig entlassen sind. Jeder Geschäftsführer darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass jeder Mitgeschäftsführer die ihm zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Ihn treffen jedoch – neben der vollen Handlungsverantwortung für sein Ressort – Überwachungs- und Informationspflichten in Bezug auf die Mitgeschäftsführer.
Wer haftet?
Die Verkehrssicherungspflicht trifft im Außenverhältnis zunächst nur die GmbH. Diese ist dafür verantwortlich, dass Kunden, Gäste, Mandanten oder Mitarbeiter in ihrem Betrieb nicht zu Schaden kommen. Der Geschäftsführer ist „lediglich“ organschaftlicher Vertreter der GmbH, handelt daher im Namen der GmbH und ist somit gegenüber Dritten grundsätzlich nicht haftbar. Er ist allerdings für die Verletzung von Organisations- und Kontrollpflichten im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft verantwortlich. Verstößt der Geschäftsführer gegen seine Organisations- und Kontrollpflichten, kommt daher zunächst eine Haftung gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz in Betracht. Der Geschäftsführer haftet dabei mit seinem Privatvermögen. Auch eine Abberufung aus dem Geschäftsführeramt ist möglich.
Gegenüber Außenstehenden haftet der Geschäftsführer selbst im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht unmittelbar nur unter besonderen Voraussetzungen: Wenn er gegen Pflichten verstößt, die nicht mehr nur für die Gesellschaft zu erfüllen sind, sondern die ihn aus besonderen Gründen auch persönlich gegenüber Dritten treffen. Dies kann sich daraus ergeben, dass der Geschäftsführer seine Pflichten in besonders grober Weise verletzt, beispielsweise wenn er trotz wiederholter Hinweise nicht aktiv wird. Werden durch die Verletzung der Organisations- und Kontrollpflichten auch Straftatbestände erfüllt, kommt auch eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht.
Praxis-Beispiel zur Verkehrssicherungspflicht
Das „Lederspray“-Urteil des BGH
Im „Lederspray“-Urteil gingen bei der Herstellerfirma eines Schuhpflegesprays Schadensmeldungen ein, dass Personen nach dessen Gebrauch erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten hätten. Die Geschäftsleitung sah jedoch von einem Vertriebsstop oder einer Rückrufaktion ab und brachte auf den Spraydosen lediglich Warnhinweise an. In der Folgezeit kam es zu weiteren Gesundheitsschäden. Erst 3 Jahre später wurde ein Vertriebsstop angeordnet und eine Rückrufaktion gestartet, nachdem das Bundesgesundheitsamt und das Bundesgesundheitsministerium gegen die Untätigkeit des Unternehmens interveniert hatten. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte fest, dass auch in diesem Fall jeder Geschäftsführer verpflichtet ist, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um eine Entscheidung über den Rückruf und einen Vertriebsstop herbeizuführen. Es lag somit eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor. Beschließt hingegen die Geschäftsleitung einstimmig, diese gebotenen Maßnahmen zu unterlassen, so haften ihre Mitglieder für die Schadensfolge der Unterlassung als Mittäter. Der BGH stellte fest, dass sich die Geschäftsführer der Körperverletzung schuldig gemacht hatten (BGH, Urteil vom 6.7.1990, 2 StR 549/89).
Tipp
Praxis-Tipp:
Falls Sie in einer solchen Situation am Widerstand der anderen Organmitglieder scheitern, sind Sie noch nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie bleiben vielmehr verpflichtet, mögliche Schäden des Unternehmens oder der Kunden auf andere Weise abzuwenden. Dies kann beispielsweise durch Information der Gesellschafter oder – sofern vorhanden – des Beirats, durch Weitergabe der Information an die zuständigen Behörden (zumindest, wenn eine Rückrufverpflichtung in Hinblick auf die Verkehrssicherungspflicht eindeutig gegeben ist) geschehen. Als letzte Maßnahme verlangt die Rechtsprechung zur Vermeidung einer persönlichen Haftung erforderlichenfalls auch die Niederlegung des Geschäftsführeramts.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Schwere des Eingriffs für den Geschädigten. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers wurde beispielsweise bejaht, als ein Organmitglied öffentlich Zweifel an der Kreditwürdigkeit eines Darlehensnehmers äußerte – mit schwerwiegenden Konsequenzen für den Darlehensnehmer (BGH, Urteil v. 24.01.2006, XI ZR 384/03 im Verfahren Leo Kirch/Deutsche Bank).
FAQ: Fragen und Antworten zur Verkehrssicherungspflicht
Umfasst die Zustandsverantwortlichkeit auch Privatgrundstücke?
Sollte Ihnen als Unternehmer das Grundstück gehören, auf dem Ihr Bürogebäude steht, hört die Verkehrssicherungspflicht nicht an der Grundstücksgrenze auf. Auf dem gesamten Privatgrundstück sind Sie dafür verantwortlich, als Eigentümer Gefahrenquellen bestmöglich zu beseitigen. Dies gilt nicht nur bei der Streupflicht, sondern ebenfalls bei herabfallenden Ästen von Bäumen, Beleuchtung von Gehwegen sowie die Umsetzung der Unfallverhütungsvorschriften. Sofern Sie der Verpflichtung als Grundstückseigentümer nicht nachkommen, und somit keine entsprechenden Sicherungsmaßnahmen durchführen, kann es bei einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu einem hohen Schadensersatzanspruch kommen. Je nach vorliegenden Umständen kann dies beispielsweise Schmerzensgeld sein.
Können Eigentümer die Verkehrssicherungspflicht auf seine Mieter übertragen?
Haben Sie sich mit Ihrer Firma in ein Gebäude eingemietet, kann Ihnen der Vermieter die Pflicht übertragen. Dennoch liegt die Verantwortung nicht gänzlich bei Ihnen. Auch Vermieter sind dazu verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob die Verkehrssicherungspflicht angemessen ausgeübt wird.
Was gilt es bei Bäumen zu beachten?
Relevant ist in erster Linie, dass Sie darauf achten, dass Bäume keine Gefahr für Personen darstellen. Wie Sie die Verkehrspflicht umsetzen, ist Ihnen überlassen.
Wann ist ein Schadensfall wirklich ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht?
Schuldnerisches Verhalten liegt immer dann vor, wenn aus Fahrlässigkeit keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen wurden. Aber: Bei einem Verstoß der Verkehrssicherungspflicht liegt die Beweislast bei der Person, die Schadensansprüche geltend machen will.