Digitalisierung

Digitalisierung in der Gastronomie – Interview mit Pierre Nierhaus

Die Gastronomie ist eine der Branchen, die am härtesten von Corona getroffen wurde. Die Pandemie brachte aber auch einen Digitalisierungsschub für viele Betriebe. Mit Trendexperte und Berater Pierre Nierhaus sprachen wir darüber, was Digitalisierung für Gastronomen verändert und welche Erfolgsbeispiele es bereits gibt.

Zuletzt aktualisiert am 06.03.2024
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Pierre Nierhaus bringt 25 Jahre Erfahrung als Unternehmer und internationaler Gastroexperte mit. Als Change-Experte für die Hospitality- und Lifestylebranche berät er unter anderem die Steigenberger Hotel Group, Edeka, Breuninger und viele weitere dabei, wie sie Trends für die Zukunft nutzen und ihre Guest Journey besser machen. Sein Ziel: Gastfreundschaft profitabel machen. Die neuesten Entwicklungen zeigt Nierhaus in seinem Trendreport 2021/22 auf.

Pierre Nierhaus
Der Gastronomieexperte Pierre Nierhaus

Guten Tag Herr Nierhaus, wie geht es Ihnen – Ihre Arbeit wird durch die Pandemie sicher gerade sehr eingeschränkt?

Die Branchen, in denen ich mich bewege, wurden hart getroffen – und wenn die Betriebe zu sind, gibt es dort auch wenige Workshops. Alle wissen zwar, dass sie gerade jetzt Innovationen brauchen, die meisten arbeiten aber noch daran, den Betrieb überhaupt zu ermöglichen, Stichwort Hygienekonzepte. Die chaotischen Ausschläge von Seiten der Politik machen das nicht leichter.

Werden wir überhaupt wieder eine Gastro-Welt wie zuvor erleben?

Da bin ich mir sicher, die werden wir erleben. Die Menschen sehnen sich gerade jetzt nach persönlichen Begegnungen. Die Nachfrage nach Gastronomie war noch nie so stark wie jetzt. Wir hatten ja schon einige Krisen – um den 11. September, die Finanzkrise und viele weitere. Die Gastronomen und Hoteliers hat man dabei nie wirklich gesehen. Das ist nun anders, man merkt jetzt erst, wie sehr man das vermisst.

„Gastronomie als Klebstoff der Gesellschaft wird gefragter sein als je zuvor.“

Gastronomie wird in Zukunft stärker sein als je zuvor, das Geschäft wird sich jedoch verändern. Betriebsrestaurants werden kleiner werden, da viele Menschen auch nach der Krise Homeoffice machen. Viele Menschen werden lieber direkt am Arbeitsplatz essen statt in der Kantine – dafür wird es Delivery-Systeme innerhalb der Firmen geben.

Die Gastro-Bäcker in den Stadtteilen werden die Gewinner für die Tagesversorgung sein. Sie profitieren davon, dass tagsüber eher gesnackt wird, das warme Essen wird auf den Abend verlegt. Tagsüber ist es also eher funktional und praktisch, Snacken kann aber auch sexy und gesund sein. Ich sehe hier Vorbilder im Ausland, zum Beispiel der Mittagssnack „Frokost“ in Dänemark.

Corona hat der Gastronomie auch einen Digitalisierungsschub verpasst. Welche Änderungen sind Ihrer Ansicht nach von Dauer, was wird wieder verschwinden, wenn die Pandemie vorüber ist?

Die ganze Distribution ändert sich. Die Menschen haben gelernt: Delivery muss gar nicht schlecht sein. Es gibt aber auch hier noch viel Potenzial. Ich sehe immer noch tolles Essen in der Styroporverpackung – das hat man vor zehn oder zwanzig Jahren so gemacht, aber das sieht doch billig aus, das ist nicht nachhaltig und das wertet alles ab. Das wird in Zukunft sicher anders.

Die digitalen Prozesse um das Essen herum werden besser. Wenn ich Essen bestelle, dann will ich das digital bestellen und ich will vor allem auch digital bezahlen. Als Nebeneffekt wird es dann relativ kontaktarm und das wird auch gewünscht werden. In Deutschland haben wir immer noch Nachholbedarf in Sachen digitale Zahlsysteme. Kontaktloses Zahlen ist für Gastronomen ein echter Segen, zum Beispiel wenn der Bäcker sich nicht jedes Mal die Handschuhe ausziehen muss, um für 1,17 Euro Wechselgeld zu suchen.

„In Deutschland haben wir immer noch Nachholbedarf in Sachen digitale Zahlsysteme.“

Vieles was wir machen, wird anderen Hygieneregeln folgen. Die Menschen wollen sich aber trotzdem treffen – laut Statistiken vermissen die Menschen die persönliche Begegnung gerade am meisten, noch vor dem Reisen. Trotzdem rechne ich damit, dass 15 bis 20 Prozent der Betriebe in der Individualgastronomie später nicht mehr da sind. In diese Lücke werden junge Neugastronomen einsteigen. Sie können digitale Angebote oft besser aufstellen – zum Beispiel Kochboxen und digitale Kochkurse. Es gilt „die Schnellen fressen die Langsamen.“

Wie schaffen es Gastronomiebetriebe, ihren Gästen auch in diesen Zeiten ein Erlebnis zu bieten?

Da gibt es viele Beispiele. Das Gastronomie-Erlebnis ist ja eigentlich analog, ich rieche, ich schmecke. Das Statussymbol heute ist aber die digitale Kommunikation in sozialen Medien. Wenn ich meinen leckeren Snack oder ein Sushi poste, kommt die digitale Ebene dazu.

Ein anderes Beispiel sind Kochboxen. Der Drei-Sterne-Koch Christian Bau hat so eine gemacht, die innerhalb von Minuten ausverkauft war. Oder das Tao in New York hatte eine edle Box zu Silvester inklusive Show für 500 Dollar. Auch andere Gastronomen können in diese Richtung kreativ werden.

Ein Beispiel, wie es in Zukunft überall laufen könnte, bietet die Stadt Ahaus in NRW. Dort hat fast jeder die App „Chayns“. Damit kann man in der Stadt Fahrräder oder Tretboote ausleihen – es sind aber auch so gut wie alle Gastro-Betriebe angeschlossen. Per QR-Code kann man sich in einem Restaurant einloggen, bekommt die passende Speisekarte angezeigt und kann digital bezahlen. Das funktioniert vor allem deshalb, weil es eine einheitliche App gibt und nicht jeder Laden sein eigenes Ding macht. Deshalb geht es da auch, dass ich im Biergarten auf dem Marktplatz mit ein und derselben App die Getränke ordere, die Pizza vom Italiener ums Eck und das Sushi von gegenüber. Alle drei Gastronomen bekommen ihr Geld über die App, die Gäste sind glücklich und die Stadt ist auch glücklich.

Tipp

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Pierre Nierhaus

Gebundene Ausgabe, erschienen im Matthaes Verlag, Auflage 1 (7.1.2020)
ISBN 978-3875153200
29,90 Euro

Wenn wir gerade über Bestellungen sprechen: Der Lieferdienst Lieferando steht aufgrund der hohen Provision, die er verlangt, in der Kritik. Gibt es Alternativen?

Da werden bis zu 30 % fällig, wenn man als Gastronom auch über Lieferando liefern lässt. Je nachdem bleibt dann nicht mehr viel übrig. Der Markt ist sehr in Bewegung und Lieferando hat durch die Pandemie einen großen Erfolg. Die Gastronomen merken aber natürlich, dass sie das viel kostet. Dazu kommen noch die Skandale um die schlechte Bezahlung der Mitarbeiter bei Lieferdiensten. 

„Der Markt ist sehr in Bewegung und Lieferando hat durch die Pandemie einen großen Erfolg.“

Viele Gastronomen werden ihren eigenen Lieferservice aufmachen, ein Trend ist der Curbside Service. Das gibt es schon in den USA und bedeutet, das Essen wird an den Bürgersteig geliefert.

Durch die Kooperation von Google und dem Großmarkt Metro gibt es noch einen neuen Player: Über die Google-Suche kann man zukünftig auch direkt einen Tisch reservieren oder Essen bestellen. Das kostet den Gastronomen dann nur ein paar Cent statt einige Euro an Provision.

Pierre Nierhaus
„Es geht um ein analoges Erlebnis. Aber die lästigen Dinge werden digitalisiert und Prozesse vereinfacht."

Die klassischen Pain Points Warten, Buchen und Reservieren werden in Zukunft viel besser digital abgewickelt. Vor allem die Abend- und Urlaubsgastronomie hängt aber nach wie vor am Menschen und dem persönlichen Service. Es geht um ein analoges Erlebnis. Aber die lästigen Dinge werden digitalisiert und Prozesse vereinfacht. Ich denke hier an Bezahlung, Personalplanung, Kassenführung und all diese Dinge. Der Gast soll leichter Gast sein können, der Gastronom leichter Gastronom – und nicht die meiste Zeit mit der Buchhaltung verbringen. Diese vercloudeten Kassensysteme sind Universalgenies und ermöglichen Erleichterungen für Gastgeber und ihre Gäste.